An der Bruchzone - Kunst trifft Zensur

„Die Zensur ist die schändlichere von zwei Schwestern.

Die ältere heißt Inquisition. Die Zensur ist das lebendige Eingeständnis der Herrschenden, daß sie nur verdummte

Sklaven treten, aber keine freien Völker regieren können.“

(Johann Nepomuk Nestroy, Freiheit in Krähwinkel)

 

 


 

Nur Lebendiges schwimmt gegen den Strom

Wie feinfühlig oder nichtssagend muss Kunst sein, um nicht mehr in die Glashäuser der Moralgesellschaft einzubrechen? Ein immerwährender, schwelender Konflikt zwischen dem schwer zu kontrollierenden Künstler-Biotop und der kontrollsüchtigen Macht der Öffentlichkeit. Kunst sollte sich an Grenzenlinien, in Richtung von Grenzen und darüber hinaus bewegen. Sonst kommt sie in den Verdacht mehrheitsfähiges, austauschbares oder selbstverliebt-leichtgewichtiges zu produzieren.

An den Grenzen lauert jedoch für viele die Angst. Die brüchige Zufriedenheit innerhalb der fremd- und selbstdefinierten Konformität erlaubt nicht die Thematisierung brisanter Probleme. Die Doktrin des „vorauseilenden Gehorsams“ ist oberstes Gebot. Die moralische Haftpflicht ist im Besitz der „Wahrheit“ und wehrt sich mit ihrem Glaubensbekenntnis gegen die Welt der Andershandelnden. Wenn nötig, so lässt sie den gesunden Volkszorn sprechen, soferne dieser nicht von selbst mit Hass und Abscheu hervorbricht.

Künstlerische Produktionen haben eine zentrale Funktion in der Verbreitung und Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte, Sitten, Normen und sozialer Rollen. Und diese Werte werden als etwas „Selbstverständliches“ und Universelles betrachtet. Die Analyse und die Infragestellung von Werten werden im guten Glauben bestraft. Das Befolgen der Normen wird jedoch belohnt. So bist Du „einer von uns“. Strukturelle Macht ist salonfähig und allgegenwärtig. Die Alarmsysteme zum Erkennen von Fremdkörpern sind hellhörig und unbestechlich.

 

Wenn ich ein „ihr“ bin so bin ich doch ein „anderer“ als ihr, die immer nur „wir“ sind.

Kunst kann provozieren zum Nachdenken und zur Diskussion. Kann sichtbar machen was sonst nicht zu sehen ist. Kann auch die Decke anheben, unter der Schmutziges sichtbar wird. Soferne es erlaubt wird, auch die schwachen und die deformierten Aspekte unseres Daseins zu betrachten. Zensur von Kunst - und damit von Information - dient immer der Sicherung einer Wertegesellschaft . Die Werkzeuge dafür sind Schuld- und Schamgefühle, die sich - erziehungsbedingt - automatisch einstellen.

Die „Schere im Kopf“ ist allgegenwärtig.

„Die Tabuverbote entbehren jeder Begründung, sie sind unbekannter Herkunft; für uns unverständlich, erscheinen sie jenen selbstverständlich, die unter ihrer Herrschaft leben.“ (Sigmund Freud - Totem und Tabu)

Nicht einmal daran denken darfst du.

Tabus sind emotionell immer stark besetzt und errichten Scheubarkeitsschranken des Abscheus oder der Ehrfucht. Wahrgenommen werden zwei gegensätzliche Aspekte: das extrem Reine und Heilige ebenso wie das Unreine, das zu Meidende. Als Spannung zwischen Begrenzung und Grenzüberschreitungen, ein Bollwerk gegen das drohende Chaos. Selbst der Geruch einer Störung kann zu Panik und Ekel führen und in logischer Konsequenz zu Sprech- Sicht- Berührungs- oder Handlungsverbot.

Es folgen für den Tabubrecher schwere Sanktionen bis zum Ausschluss aus der Gemeinschaft. Als „notwendiges Opfer“, Märtyrer, Aussenseiter machen sie „die dunkle Seite“ der Gesellschaft sichtbar.

Das Opferlamm trägt die Schuld der Menschheit

Der Verhaltenskodex wird durch wenige, eigens ernannte oder geweihte, unantastbare Personen bewacht (Zauberer, Medizinmänner, PriesterInnen, Chefärzte, KaiserInnen, Staatsoberhäupter). Sie verweigern dem tabuisierten Thema rigid den Platz im öffentlichen Raum.

Seht einmal da steht er
der Struwwelpeter!
Schmutz und Sündenflecken
Leib und Seel‘ bedecken;
Pfui, du Struwelpeter!